Hanno Hilbig (University of California, Davis) & Sascha Riaz (Oxford University)

Civey in der Forschung: Klimakrise und Wahlverhalten

Sommer 2021: Nach der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal war das Thema Klimakrise und ihre Folgen wohl präsenter denn je. Und das kurz vor der Bundestagswahl. Doch inwiefern beeinflussen solche Naturkatastrophen das Wahlverhalten der Bevölkerung? Dieser Frage sind Hanno Hilbig, Assistenzprofessor an der University of California, und Sascha Riaz, Postdoctoral Fellow an der Oxford University, in einer Studie nachgegangen. Über die Ergebnisse und die Nutzung von Civey Daten haben sie mit uns gesprochen.

Civey Fassen Sie kurz zusammen: Was war das Ziel Ihrer Untersuchung und wie lassen sich die Ergebnisse in den aktuellen Forschungsstand einordnen?

Hanno Hilbig & Sascha Riaz: Das Ziel unserer Studie (Preprint) war es, den Zusammenhang zwischen Naturkatastrophen und Wahlverhalten zu analysieren. Konkret haben wir untersucht, ob die Flutkatastrophe von 2021 in den betroffenen Gebieten die Unterstützung für Die Grünen erhöht hat. Dafür haben wir sowohl offizielle Wahldaten als auch Umfragedaten von Civey verwendet.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Flutkatastrophe, wenn überhaupt, nur minimale Auswirkungen auf politische Einstellungen und Wahlverhalten hatte. Nur in den am stärksten betroffenen Gebieten, insbesondere im Landkreis Ahrweiler, konnten wir einen leichten Zugewinn für Die Grünen feststellen. Außerdem gab es einen kurzfristigen bundesweiten Anstieg der Unterstützung für Die Grünen, der jedoch nur zwei Wochen anhielt.

Ähnlich wie vorherige Studien finden wir heraus, dass die Wähler:innen den Ausgaben für Katastrophenhilfe Vorrang vor Maßnahmen gegen den Klimawandel einräumen. Sowohl in Nordrhein-Westfalen als auch in Rheinland-Pfalz konnten die Parteien der jeweiligen Ministerpräsident:innen in den betroffenen Gebieten deutlich hinzugewinnen. Die Studie deutet darauf hin, dass Grüne Parteien ihr inhaltliches Profil in Themengebieten über den Klimawandel hinaus schärfen müssen, um langfristig erfolgreich zu sein. Insgesamt hinterfragt die Studie die Annahme, dass Naturkatastrophen automatisch zu höherer Unterstützung für progressive Klimapolitik und Grüne Parteien führen.

Civey: Aus welchem Grund haben Sie auf Daten von Civey zurückgegriffen?

Hanno Hilbig & Sascha Riaz: Ein Großteil unserer Analyse basiert auf offiziellen Daten zum Wahlverhalten bei der Bundestagswahl 2021. Die Wahl fand jedoch erst Ende September 2021 statt, also gut zwei Monate nach der Flutkatastrophe. Die Daten von Civey haben es uns ermöglicht, nicht nur die mittelfristigen Effekte zu untersuchen, sondern auch die kurzfristigen Auswirkungen in den Tagen und Wochen direkt nach der Flut.

Civey: Wie wichtig waren die Datenerhebung in Echtzeit und die taggenaue Erhebung für Ihre Studie?

Hanno Hilbig & Sascha Riaz: Die kurzfristigen Effekte unmittelbar nach der Flut konnten wir aufgrund der hohen Anzahl an Beobachtungen in den Civey-Daten untersuchen. Dies hat es uns ermöglicht, die Auswirkungen der Flut in kurzen zeitlichen Abständen sowohl bundesweit als auch in betroffenen Gebieten abzuschätzen. So konnten wir nicht nur zeigen, dass es einen kurzfristigen bundesweiten Anstieg für Die Grünen gab, sondern auch abschätzen, über welchen Zeitraum dieser Effekt anhielt. Dies stellt einen wesentlichen Beitrag unserer Studie im Vergleich zur vorherigen Forschung dar, der ohne die Civey-Daten nicht möglich gewesen wäre.

Andere Umfragedaten, die oft für wissenschaftliche Zwecke genutzt werden, weisen häufig wesentlich weniger Beobachtungen auf und sind in der Regel erst mehr als ein Jahr nach der Erhebung verfügbar. Diese Nachteile bestehen bei Civey nicht. Der Zugang zu den Daten war schnell und unbürokratisch, wodurch wir bereits kurz nach der Bundestagswahl eine erste Version unserer Studie veröffentlichen konnten.

Civey: Welche Rolle haben Daten auf Landkreisebene für Ihre Forschung gespielt?

Hanno Hilbig & Sascha Riaz: Wir wollten analysieren, wie sich die Flut auf die politischen Einstellungen und Wahlabsichten der lokalen Bevölkerung in den betroffenen Gebieten ausgewirkt hat. Dazu war es wichtig zu wissen, wo genau die Befragten wohnen, damit wir ihre Betroffenheit durch das Hochwasser korrekt kodieren konnten. Die Daten auf Landkreisebene ermöglichten eine präzise Zuordnung und Analyse der Auswirkungen in den betroffenen Gebieten.

Des Weiteren haben wir die Hypothese getestet, dass es "Sättigungseffekte" gibt, also dass keine politischen Effekte der Flut eintreten, wenn der Klimawandel bereits ein politisch sehr wichtiges Thema in einer bestimmten Region ist. Anhand der Civey-Daten haben wir die politische Bedeutung des Themas Klimawandel auf Landkreisebene geschätzt, um zu vergleichen, ob die politischen Effekte des Hochwassers mit der lokalen Relevanz des Themas Klimawandel variieren. Dies erlaubte es uns, regionalspezifische Unterschiede und Zusammenhänge zu untersuchen und eine differenziertere Analyse der politischen Auswirkungen von Naturkatastrophen durchzuführen. Diese Schätzung war nur dank der hohen Anzahl an Beobachtungen in den Civey-Daten möglich.


Hanno Hilbig

Über Hanno Hilbig

Hanno Hilbig ist Assistenzprofessor für Politikwissenschaft an der University of California, Davis. 2022 hat er am Department of Government der Harvard University promoviert. Hilbig untersucht die politischen Auswirkungen von zentralen Herausforderungen, mit denen sich etablierte Demokratien konfrontiert sehen, wie z. B. sich verändernde Medienlandschaften, Einwanderung und Ungleichheit.

Sascha Riaz

Über Sascha Riaz

Sascha Riaz ist Postdoctoral Prize Research Fellow in Politik am Nuffield College (Oxford University). Im vergangenen Jahr hat er am Department of Government der Harvard University promoviert. Riaz forscht unter anderem zu den Themen Migration und Fremdenfeindlichkeit.

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