Prof. Dr. Dieter Nautz von der FU Berlin

Interview: „Civeys Flexibilität ist ein großer Vorteil für die Forschung”

Prof. Dr. Dieter Nautz von der Freien Universität Berlin im Interview

Das Thema Inflation hat die Deutschen lange nicht mehr so beschäftigt wie aktuell. Ein Forscherteam der Freien Universität Berlin hat untersucht, wie sich die mittelfristigen Inflationserwartungen in den vergangenen Monaten entwickelt haben. Die Langzeitstudie bestätigt: Krisen schüren Inflationsängste, selbst wenn alle Zeichen auf niedrige Inflation stehen. Im Interview erklärt Prof. Dr. Dieter Nautz, wie Civey-Daten für die Forschung genutzt wurden.

Civey: Einmal kurz und knapp: Was wollten Sie mit Ihrer Forschung herausfinden? Wie lässt sich das in den bisherigen Forschungsstand einordnen?

Prof. Dr. Nautz: Eine zentrale Aufgabe der EZB ist es dafür zu sorgen, dass die Inflationsrate „in der mittleren Frist“ nahe bei 2% liegen wird. Inflationserwartungen können ein entscheidender Faktor für die tatsächliche Inflationsentwicklung sein. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie hoch die Inflationserwartungen in der Bevölkerung sind und was sie antreibt. Typischerweise erlauben Umfragen nur sehr indirekt Rückschlüsse auf die Glaubwürdigkeit eines Inflationsziels, weil nur sehr allgemein und für Laien missverständlich nach der zukünftigen Preisentwicklung gefragt wird. Wir haben dagegen die Frage genauso gestellt, wie die EZB ihr Inflationsziel formuliert, also den offiziellen Wortlaut eins zu eins übernommen. Das hat bisher noch niemand gemacht.


Civey: Was haben Sie konkret gefragt?

Prof. Dr. Nautz: Wir haben gefragt: „In welchem Bereich wird Ihrer Ansicht nach die jährliche Inflationsrate auf mittlere Sicht liegen?”. Hier kann es keine Missverständnisse geben: Das Inflationsziel der EZB ist genau dann glaubwürdig, wenn die Antwortmöglichkeit „nahe zwei Prozent“ gewählt wird. Während die Antwortalternativen „deutlich über“ oder „deutlich unter“ zwei Prozent“ offenlegen, warum die Glaubwürdigkeit des Inflationsziels als zu niedrig eingeschätzt wird.


Civey: Inwiefern hat die Arbeit mit Civey Ihren Forschungsprozess beeinflusst?

Prof. Dr. Nautz: Ein großer Vorteil für die Forschung ist natürlich Civeys sehr flexibles Tool. Beispielsweise hat die EZB während unseres Beobachtungszeitraums die Formulierung des Inflationsziels geändert. Bei herkömmlichen Umfrageunternehmen hätte das einen enormen Aufwand bedeutet, die Umfrage umzustellen. Bei Civey ging das per Knopfdruck von heute auf morgen.


Civey: Bei Ihrer Studie handelt es sich ja um eine Langzeituntersuchung: Wie wichtig waren dafür die Datenerhebung in Echtzeit und die taggenaue Erhebung über 30 Monate?

Prof. Dr. Nautz: Die Tatsache, dass wir tägliche Beobachtungen haben, ist gerade für unsere Forschungsfrage hilfreich, weil wir natürlich auch gerne sehen, wie bestimmte makroökonomische Ereignisse oder geldpolitische Reden die Inflationserwartungen beeinflussen. So konnten wir in der Langzeitauswertung der Umfrageergebnisse sehen, dass auch in der Covid-Periode, in der die Inflationsrate deutlich unter zwei Prozent lag, die Menschen trotzdem Inflationssorgen hatten. Diese – aus Sicht der Wirtschaftstheorie – merkwürdigen Inflationserwartungen zeigen sich übrigens auch in Studien anderer Länder, wie den USA.


Civey: Welche Rolle hat es in Ihrer Untersuchung gespielt, dass sie Daten nach soziodemografischen Eigenschaften auswerten können?

Prof. Dr. Nautz: Mit Civey war es möglich, eine repräsentative Umfrage zu machen, an der am Ende Zehntausende teilgenommen haben. Das ist einfach ein toller Datensatz, auch weil wir nicht nur die Antwort auf die Frage bekommen haben, sondern zusätzlich etliche soziodemografische Informationen wie Geschlecht, Alter, Herkunft oder Bildungsgrad. Viele der typischen Ergebnisse - zum Beispiel, dass Frauen höhere Inflationserwartungen haben als Männer - bestätigten sich auch in unserem Datensatz. Wir haben uns sehr gefreut, dass wir solche Ergebnisse mit dieser sehr innovativen Datenerhebung reproduzieren konnten. Dies deutet auf eine hohe externe Validität hin.

Prof. Dr. Dieter Nautz

Bildquelle: Bernd Wannenmacher via Freie Universität Berlin

Über Prof. Dr. Nautz

Prof. Dr. Dieter Nautz ist Professor für Ökonometrie am Institut für Volkswirtschaftslehre der Freien Universität Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Zeitreihenökonometrie, Empirischer Makroökonomik und Geldpolitik. In seiner aktuellen Publikation mit Winnie Coleman über die Inflationserwartungen der Deutschen analysiert er Monitoring-Daten, die Civey im Auftrag der FU Berlin erhoben hat.

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